„Ich war nie beschränkt genug, zu glauben, dass Henri Rousseau ein einzelner Fall in der Kunstgeschichte sei. Es gibt keine einzelnen Fälle.“
Das Zitat beschreibt treffend Wilhelm Uhdes Spürsinn, wenn es um das Entdecken neuer Kunst und Künstler:innen ging. Der Lebensweg des 1874 im damaligen Friedeberg (Neumark), heute Strzelce Krajeńskie, Polen, geborenen Uhde schien vorgezeichnet: Als Sohn eines preußischen Staatsanwalts begann auch Uhde ein Jurastudium; doch die angestrebte Beamtenlaufbahn gab er bald wieder auf und schrieb sich in München und Florenz für ein Studium der Kunstgeschichte ein. 1904 zog er nach Paris, in die Kunstmetropole Europas, wo er bald zum Kreis rund um das Café du Dôme gehörte, einem internationalen Treffpunkt der Pariser Bohème.
Entsprachen die wissenschaftlichen Kreise der Universitäten in München und Florenz nicht Uhdes gefühlsbasierter Haltung zur Kunst, so konnte er in Paris sein Talent voll entfalten. Uhde war eine schillernde Persönlichkeit und ein ausgezeichneter Netzwerker. In Paris wurde er zum erfolgreichen „animateur d’art“, Stilbildner und Trendsetter, der zwischen Künstler:innen, Kunsthandel und Kunstkritik vermittelte und selbst gezielt Kunst förderte und damit handelte. Vor allem als Vermittler zwischen der französischen und deutschen Kunstszene machte sich Uhde einen Namen. Sein erster kommerzieller Erfolg war ein kleines Bild der Schule von Barbizon, eine Landschaftsmalerei aus dem 19. Jahrhundert, das er mit einem Gewinn von mehreren hundert Francs weiterverkaufte. 1905 erwarb er bereits ein Bild von Picasso und wurde gemeinsam mit dem Galeristen Daniel-Henry Kahnweiler einer der ersten Sammler und Vermarkter des Kubismus. Auch Georges Braque und Marie Laurencin förderte er. Damit war Uhde direkt an dem Durchbruch der internationalen Avantgarde beteiligt. 1907 lernte er über die Mutter von Robert Delaunay Henri Rousseau kennen und organisierte 1908 bereits die erste Einzelausstellung des Malers. Dass er sie selbst später als Flop bezeichnete, da er vergessen hatte, die Adresse der Galerie auf die Einladungskarte zu schreiben, kann als geschicktes Selbstmarketing gewertet werden: Uhde kokettierte immer wieder mit seiner Rolle als Sammler, Förderer und Händler.
Wie zielgerichtet Uhde Trends erspürte, zeigt sich auch bei seiner Etablierung der Maler des Heiligen Herzens 1928. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs musste Uhde als Deutscher 1914 Frankreich verlassen. Seine Sammlung wurde vom französischen Staat konfisziert und versteigert. 1924 gelang Uhde die Rückkehr nach Paris. Die Künstler:innen, an deren Erfolg er selbst beteiligt war, konnte er sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr leisten. Also begann er zielstrebig, nach einer Verdienstmöglichkeit zu suchen, die er geschickt in Kunstförderung verpackte: die Malerei der Autodidakten. Bereits 1912 hatte Uhde in Senlis, einem kleinen Ort, in dem er „Entspannung“ fern der Metropole Paris suchte, ein qualitätvolles Stillleben der Haushälterin Séraphine Louis entdeckt, die er nun wieder aufsuchte und der er für ihre inzwischen großformatigen Bilder Leinwände kaufte. Werke von Camille Bombois und Louis Vivin fand er bei einem Trödler am Montmartre. Im Winter 1927 besuchte Uhde die erste Einzelausstellung André Bauchants, eines ehemaligen Gärtners, in der Galerie von Jeanne Bucher, der der letzte in der Riege der „Maler des Heiligen Herzens“ werden sollte. Mit dem Titel schuf Uhde gleichermaßen ein neues Etikett, damit umging er das Problem, das sich die Malerin und Maler nicht kannten und ganz unterschiedlich arbeiteten ebenso, wie ihre mangelnde akademische Ausbildung. Im Gegenteil, als „Maler des Heiligen Herzens“ lag der Fokus auf ihrem gefühlvollen Zugang zur Kunst. Dieser hat seine Wurzeln im Künstlermythos des 18. und 19. Jahrhunderts, nach dem der Künstler mit intuitiver Sicherheit zum künstlerischen Idealen strebte – eine ganz ähnliche Haltung attestierte sich Uhde übrigens auch als Sammler, der hier eine Traditionslinie von der europäischen Frührenaissance folgte. Uhde sah die Avantgarde folglich nicht als Bruch, sondern Anknüpfen an die Tradition.
Später nahm Uhde Abstand vom Begriff der „Maler des Heiligen Herzens“, der ihm zu gefühlsbetont und auf menschliche Qualitäten abzielend schien. Schon 1920 plädierte er dafür, die Kunst Henri Rousseaus stärker unter künstlerischen Aspekten zu beurteilen. Warum, so fragte er, redeten die Menschen über Rousseau immer noch als Zöllner, und nahm die Antwort vorweg: da sie ihn ihm einen abseitigen, wenn auch sympathischen Dilettanten sahen, statt die Qualität seiner Kunst zu würdigen.
- Autorin: Dr. Henrike Hans