Bildhauerei, Zeichnung, Malerei, Kunsthandwerk, Gestaltung und Architektur – es gibt kaum ein künstlerisches Gebiet, in dem Bernhard Hoetger nicht gearbeitet hat. Der aus Dortmund-Hörde stammende Hoetger (1874–1949) lernte zunächst Steinmetz und Holzbildhauer, ehe er in die Meisterklasse Bildhauerei der Düsseldorfer Akademie eintrat. Auf einer Exkursion zur Weltausstellung nach Paris 1900 beschloss er kurzerhand, in der französischen Metropole zu bleiben und lebte dort einige Jahre. Weitere Stationen seines Lebens waren u. a. Darmstadt und Worpswede. In Paris etablierte sich Hoetger bald und zeigte schon in seinen ersten Ausstellungen neben bildhauerischen Arbeiten auch Aquarelle. Das Besondere dabei: es handelte sich nicht etwa um Vorstudien für Plastiken wie den Tauzieher (Abb.), sondern, in der Tradition der berühmten Aquarelle Auguste Rodins, um ganz eigenständige Zeichnungen. Die ätherischen Aktdarstellungen (Abb.) erfreuten sich bei Sammlern großer Beliebtheit. Schon in seinen frühen Werken zeigte Hoetger eine Flexibilität im Umgang mit Medien und Stilmerkmalen. Griff er zunächst Elemente der impressionistischen Bildhauerei Rodins auf, so fand er ab 1905 zur Vereinfachung der Form und glatten Oberfläche (Abb.). Mit Aristide Maillol zählte er in dieser Zeit zu den fortschrittlichsten Bildhauern in Paris und war regelmäßig in den großen Ausstellungen wie dem Salon d’Automne vertreten.
Mit Aristide Maillol zählte er in dieser Zeit zu den fortschrittlichsten Bildhauern in Paris und war regelmäßig in den großen Ausstellungen wie dem Salon d’Automne vertreten. 1906 lernte Hoetger in Paris Paula Modersohn-Becker kennen. Fasziniert von ihren Bildern bestärkte er sie in ihrer künstlerischen Arbeit. Gemeinsam besuchten sie u. a. Henri Rousseau in seinem Atelier und verschiedene Ausstellungen. 1911 verließ er Paris endgültig und wurde Mitglied der Darmstädter Künstlerkolonie. Von Paula Modersohn-Becker hatte er von Worpswede erfahren und siedelte 1915 in das Künstlerdorf über. Er kaufte den sogenannten Brunnenhof und baute ihn zu einem Wohn- und Atelierhaus um. Seinen größten Auftrag erhielt Hoetger Anfang der 1920er-Jahre von dem Bremer Kaffeekaufmann Ludwig Roselius, der ihn mit Bauten in der Böttcherstraße betraute, darunter das heutige Paula Modersohn-Becker Museum. Für die Häuser der Böttcherstraße schuf Hoetger eine ganz individuelle Formensprache, die mittelalterliche, sakrale und expressionistische Elemente vereint. Die Architektur wird zum Programm, indem er mit dem Himmelssaal eine Verbindung vom bremischen Boden bis in den Himmel herleitete. Hoetgers Arbeitsweise war dabei besonders: er legte den Handwerkern keine fertigen Architekturpläne vor, sondern forderte sie auf, aus ihrem Gefühl heraus eigenständig zu arbeiten. Wie schon in seinem Wohnhaus, gestaltete er für das Paula Modersohn-Becker Museum auch das Interieur. Noch heute tragen viele Bilder der Künstlerin aus der ehemaligen Roselius-Sammlung die schweren Holzrahmen, die Hoetger entwarf (Abb.). Darüber hinaus gestaltete er die Museumsmöbel (Abb.): eigenwillige Möbelstücke, die Tisch und Stühle vereinen und sich erst auf den zweiten Blick als höchst funktional offenbaren. Der Künstler Hoetger gestaltete die Stühle so, dass das Publikum mit dem Rücken zum Tisch saß und freie Sicht auf die Wände mit den Kunstwerken hatte. Offen, einladend, funktional und gestalterisch stimmig sind seine Museumsmöbel bis heute im Paula Modersohn-Becker Museum im Einsatz.
Obwohl er zu Lebzeiten in Ausstellungen vertreten war, Sammler und Förderer für seine Kunst begeistern konnte, ist Bernhard Hoetgers breites Werk in den vergangenen Jahrzehnten in Vergessenheit geraten. Das könnte gerade in der Vielseitigkeit seines Schaffens liegen, haben sich doch im Kanon der Kunstgeschichte meist Künstlerinnen und Künstler durchgesetzt, die einen wiedererkennbaren Stil geschaffen haben, der in Richtung des Neuen, Modernen strebt. Hoetger hingegen hinterließ hunderte Zeichnungen, einige Gemälde, zahlreiche Skulpturen, kunsthandwerkliche Gegenstände und Häuser, die nach seinen Plänen gebaut worden. Stilmerkmale waren für ihn austauschbar, er bediente sich ihrer ganz frei je nach Werk und Kontext. Oftmals wechselte er innerhalb kurzer Zeit zwischen unterschiedlichen Stilen und Medien hin und her, griff ebenso mittelalterliche wie moderne Elemente auf. Möglicherweise lässt sich gerade darin das Prägende seines Werks erkennen: ein freier künstlerischer Ausdruck unabhängig vom Medium. Das Ziel der Avantgarde, Kunst und Leben zu vereinen, vollendete Hoetger auf eine ganz persönliche Weise.