Text von Dr. Frank Schmidt
Wer vermag sich dem Zauber dieser Stadt zu entziehen? Venedig mit seinen Kanälen, Palästen und pittoresken Plätzen wirkt noch heute wie ein Traum. Der 1697 in Venedig geborene Giovanni Antonio Canal hat seiner Heimatstadt in unzähligen Gemälden ein Denkmal gesetzt. Er ist der Meister der Vedute, der Stadtansicht, der – es sei erinnert, dass die Fotografie noch lange nicht erfunden war – nachgefragte Erinnerungsbilder für die Touristen seiner Zeit schuf, die auf ihren klassischen Bildungsreisen insbesondere Italien und dabei selbstverständlich auch die Lagunenstadt besuchten.
Der Markusplatz aus der Sammlung von Gustav Rau ist ein hervorragendes Beispiel, wie es Canaletto gelingt, die ungemein detailgetreue Wiedergabe – man vermutet, dass er sich dabei des Hilfsmittels der Camera Obscura bediente – mit szenischen und dramaturgischen Mitteln zu beleben und zu steigern: der Platz ist von Marktständen, Händlern, Passanten und Tieren bevölkert. Vor allem aber das warme Licht, in welches Markuskirche und Dogenpalast getaucht sind, verleiht der gesamten Szene Leben. Angesichts dieser illusionistischen Wirkung sei angemerkt, dass Canaletto sich wie sein Vater anfangs mit der Bühnenbildnerei beschäftigte, deren Mittel er dann für das Genre der Veduten nutzte.
Auch die Impressionisten, von denen weitere Stadtlandschaften im selben Raum der Ausstellung im Paula Modersohn-Becker Museum versammelt sind, bedienten sich der Farbe und des Lichts als Stilmittel. In Konkurrenz mit der in ihrer Zeit an Bedeutung gewinnenden Fotografie konzentrierten sie sich nun allerdings nicht mehr auf eine detailgetreue Nachahmung der Natur, sondern fokussierten auf einen lebendigen und unmittelbaren Eindruck. Mehr als 100 Jahre nach dem Venezianer und mit anderen Mitteln kommen sie zu einem ähnlichen Resultat: die Stimmung und das Lebensgefühl einer Zeit einzufangen und das Typische einer Landschaft, einer Stadt, herauszuarbeiten.
Ein Vergleich von Monets Amsterdam Ansicht mit Canalettos Markusplatz wirft ein Schlaglicht auf einen weiteren, für den heutigen Betrachter bedeutsamen Aspekt der Vedutenmalerei: Da sich insbesondere Städte in einem ständigen Wandel befinden, sind die Veduten unschätzbare Zeugnisse vergangener Zustände. So lässt sich bei Monet, auch wenn wir den Standort des Künstlers in der Nähe des Amsterdamer Bahnhofs kennen, die Häuserzeile heute nicht mehr nachvollziehen. Da macht es uns Venedig schon einfacher. Bei Ihrem nächsten Besuch in der Serenissima werden Sie die Szenerie des 18. Jahrhunderts leicht wiederfinden. Aber warten Sie nicht zu lange: der steigende Meeresspiegel bedroht auch diese zeitlose, scheinbar unveränderliche Stadt.