Sie wurde als spektakulär und schillernd angekündigt, um das Ende des vergangenen und den Beginn des neuen Jahrhunderts zu feiern. «Tout le Monde à Paris», Alle Welt nach Paris, forderte ein Werbeplakat für die Weltausstellung von 1900 auf. Und alle kamen. In 212 Tagen nahmen in einem Land mit damals 41 Millionen Einwohnern 51 Millionen Besucher an der Exposition universelle teil. Bis heute ist sie die größte Weltausstellung, die jemals in Frankreich ausgetragen wurde - und eine der erfolgreichsten weltweit.
Der englische Pavillon glich einem Herrenhaus im elisabethanischen Stil, der spanische erinnerte an den Alcázar in Toledo und das Deutsche Haus im Neo-Renaissance-Stil hob sich mit seinem 75 Meter hohen Turm hervor. Jeder Pavillon war größer und spektakulärer als der andere. Eine Schau der Superlative, die vom 15. April bis 12. November dauerte.
Die Weltausstellung von 1900 hat das Pariser Stadtbild tief geprägt, auch wenn nur noch wenige Spuren offensichtlich sind. Einige sind versteckt, andere als Erbe von 1900 aus dem Bewusstsein verschwunden, wie die erste Linie der Pariser U-Bahn, die die Porte Maillot im Westen der Stadt mit der Porte Vincennes im Osten verbindet. Oder die Bahnhöfe Gare de Lyon, Gare des Invalides, heute eine U-Bahn-Station, und der Gare d’Orsay, der 1986 zum weltbekannten Musée d’Orsay wurde.
Zum baulichen Erbe von 1900, das heute der Stolz der Pariser ist und die Besonderheit der Hauptstadt, gehören das unweit der Avenue des Champs-Elysées liegende Grand Palais, das Petit Palais und die Brücke Pont Alexandre III, die beide mit dem gegenüberliegenden Seine-Ufer verbindet. Die im Stil des Neobarocks errichtete Brücke gilt als eine der schönsten von Paris.
Das Petit Palais zeigte zur Weltausstellung eine Retrospektive französischer Kunst von den Anfängen bis zum 1800 Jahrhundert, das Grand Palais präsentierte «La Centennale», einen Überblick über die Kunst des 1900 Jahrhunderts. Auch Paula Modersohn-Becker, die von der Weltausstellung begeistert war, gehörte zu den Besuchern, so wie ihre Freundin, die deutsche Bildhauerin Clara Westhoff, und die aus Worpswede am 11. Juni angereisten MalerInnen Fritz und Hermine Overbeck, Marie Bock und Otto Modersohn. Ihr Aufenthalt war jedoch von kurzer Dauer. Denn die damalige Ehefrau von Otto Modersohn starb nur drei Tage nach ihrer Ankunft in Paris.
«Zum Schluß der Pariser Zeit kam das Erlebnis der Bilderschau von der Jahrhundertausstellung, die uns die Malerei des 19. Jahrhunderts durch Anschauung kennen lehrte. Hier war es ein Genuß sich Paulas Führung anzuvertrauen, deren Freude über Daumier, Corot und alle die anderen auch meine Freude und mein Verständnis förderten [...]», wie der Kunsthistoriker Rolf Hetsch Clara Westhoff, Schülerin von Auguste Rodin und spätere Frau des deutschen Dichters Rainer Maria Rilke, in seinem 1932 veröffentlichen Werk «Paula Modersohn-Becker. Ein Buch der Freundschaft» zitiert.
Der Grand et Petit Palais wurden beide als Ausstellungsorte errichtet, eine Bestimmung, der sie auch heute noch treu sind. Im Jahr 1902 wurde der Petit Palais zum Museum für Schöne Künste, das seitdem die Sammlungen der Stadt Paris beherbergt. Und unter der über 40 Meter hohen Glaskuppel des Grand Palais fanden ein Jahr später die ersten Kunstsalons statt. Zunächst der «Salon des Artistes Français», der von der Avantgarde abwertend als Salon des «Feuerwehrstils» bezeichnet wurde, weil er Künstler ausstellte, die unter dem Einfluss des Akademismus standen. Dann der renommierte Salon d'Automne im Jahr 1904 mit Künstlern der modernen Malerei und 1920 der bekannte «Salon des Indépendants», der 1884 von Paul Signac und Georges Seurat gegründet wurde mit dem Ziel, Werke zu zeigen, die von den offiziellen Salons abgelehnt wurden. Heute findet im Grand Palais die FIAC statt, Frankreichs bedeutendste Messe für zeitgenössische Kunst mit Händlern und Sammlern aus aller Welt.
Seit März ist der 72 000 Quadratmeter große Palais wegen umfassender Renovierungsarbeiten geschlossen. Ein Teil soll Anfang 2024 wieder öffnen, pünktlich zu den Olympischen Sommerspielen. Die vollständige Wiedereröffnung ist für das Frühjahr 2025 geplant. Bis dahin weichen die Veranstaltungen in den von Frankreichs Stararchitekt Jean-Michel Wilmotte entworfenen, rund 40 Millionen Euro teueren Ersatzbau «Grand Palais éphémère» auf dem in der Nähe liegenden Marsfeld beim Eiffelturm aus. Die Wahl des Standorts hatte auch historische Gründe. Auf der über 24 Hektar großen Grünfläche fanden die Weltausstellungen von 1867, 1878, 1889, 1900 und 1937 statt.
Die Pavillons der über 40 Nationen, die am Seineufer zwischen der Pont des Invalides und der Pont de l'Alma standen, sind fast alle verschwunden. Sie wurden nach dem Ende der Weltausstellung entweder abgebaut und zurück in ihre Herkunftsländer transportiert. Oder aber versteigert und verkauft, wie der japanische Turm des Pavillons «Panorama du Tour du Monde» (Panorama der Weltreise). König Leopold II von Belgien hatte ihn damals für seinen Park in Laeken im Norden Brüssels erworben, wo er noch immer steht.
Andere wiederum wurden in Einzelteile zerlegt, die wiederverwendet wurden. So ist aus dem Eingangstor des Palais de la Femme, den Karyatiden des indonesischen Pavillons und dem von Gustave Eiffel entworfenen Weinpavillon Gironde die legendäre Künstlerkolonie La Ruche (Der Bienenkorb) im Pariser Viertel Montparnasse entstanden. Sie gehört zu den ältesten Künstlerkolonien, die bis heute fortbestehen. Maler und Literaten wie Marc Chagall, Chaïm Soutine, Guillaume Apollinaire und Blaise Cendrars haben dort gelebt und gewirkt - um nur einige wenige zu nennen.
Zu den Überbleibseln der Weltausstellung, an denen nur noch der Name erinnert, gehört das Village Suisse. Dort, wo einst die idealisierte Darstellung eines Schweizer Dorfes Abertausende Schaulustige anzog, haben heute über 100 Antiquitätenläden, Kunstgalerien und Juweliere ihre Adresse. 1900 gehörte das Village Suisse unweit der eisernen Dame von Gustave Eiffel zwischen der Avenue de Suffren und der Avenue de la Motte-Picquet zu den Hauptattraktionen: Auf 21 000 Quadratmetern hatten die Architekten Charles Henneberg und Jules Allemand Chalets aus der Alpenrepublik kommen lassen, Wasserfälle, Berge und Almen nachgebaut – und einen See.
Das Champs-de-Mars, die Esplanade des Invalides und das angrenzende Seineufer machten rund die Hälfte der insgesamt 216 Hektar großen Ausstellungsfläche von 1900 aus. Die restlichen 104 verteilten sich auf den Stadtwald Bois de Vincennes, wo unter anderem die Landwirtschaftsausstellung und Sportwettbewerbe stattfanden. Damit war die Schau zehn Mal so groß wie die erste von 1855.
Der französisch Schriftsteller Paul Morand schrieb über seinen Expo-Besuch in seinem 1930 veröffentlichten Werk «1900» im ungefähren Wortlaut des Originals folgendes:
«Die Ausstellung von 1900 war mehr als nur ein Erfolg, sie war eine Wohltat; Militärzüge hatten sich in Vergnügungszüge verwandelt, das Land hatte Wagons voller Iraker, Muslime, Venezolaner vorbeifahren sehen ... Wir lernten einander kennen. Paris war noch nie so schön».
- Autorin Sabine Glaubitz lebt und arbeitet als Journalistin in Paris. Sie schreibt unter anderem für die dpa.