Der Kunsthändler Hans Friedrich Secker erklärte den Verantwortlichen der Städtischen Galerie Kassel 1928 anlässlich des Ankaufs eines Bildes von Séraphine Louis, dass die feinen Risse in der Malschicht - das Craquelé - von der Künstlerin durchaus beabsichtigt seien.Tatsächlich durchziehen viele der Gemälde Louis‘ die charakteristischen Risse auf der Oberfläche, die wirken, als wäre die Malschicht aufgeplatzt. Dass diese offenbar schon 1928 erklärungswürdig waren, zeigt die Erklärung Seckers.
Die Risse lassen sich auf die besonderen Materialien und die Technik Séraphine Louis‘ zurückführen, die die Farben nass in nass auf die Leinwand setzte, d. h. in mehreren Schichten arbeitete und nicht abwartete, ehe die untere Schicht getrocknet war. Das Ergebnis ist spektakulär: Die Bilder wirken, als würde der Hintergrund in die vordere Bildebene gezogen und würde mit den Pflanzenformen zu einer transparenten ornamentalen Struktur verschmelzen. Ob Louis das Craquelé gezielt herbeiführte oder es als unvermeidlichen Teil eines Malprozesses in Kauf nahm sei dahingestellt.
Unter anderem in ihrer besonderen Maltechnik liegt die besondere Wirkung ihrer Bilder begründet. Darin steht Louis den anderen „Malern des Heiligen Herzens“ nahe, die ebenfalls einen individuellen Umgang mit Farben pflegten.
Wie Louis mischte André Bauchant seine Farben selbst. Maximilien Gauthier, der die erste Monografie über den Maler verfasste, berichtete, dass Bauchant für die Zusammensetzung von Pigmenten, Öl und Leim eine eigene Rezeptur entwickelt hatte, die ihn an eine „subtile Alchemie“, eine geheimnisvolle Chemie erinnerte. Eine Fotografie zeigt darüber hinaus Bauchant in fortgeschrittenem Alter beim Malen und es fällt auf, dass er Farbpigmente in Pulverform erst mischte, als er sie auf die Leinwand auftrug und dann noch einmal mit einem trockenen Pinsel verwischte. Er begann seine Bilder in der unteren Bildhälfte, auch dies ist ungewöhnlich. Seine Werke spiegeln diesen Aufbau, indem die Landschaft die Grundlage bildet, in die einzelne Figuren eingesetzt sind. Getragen werden die Bilder von äußerst matten Farben, die an die Struktur rauer Felsen erinnern, eines der Lieblingsmotive des Malers. Ebenso lassen sie Assoziationen zu den Fresken der Frührenaissance in Italien zu. Dies verschleiert jedoch nicht, dass Bauchants Bilder in ihrer collagehaften Auffassung und der Unbeirrtheit des Künstlers, die sich auch an kleinen Ungenauigkeiten nicht stört, bedingungslos zeitgenössisch im 20. Jahrhundert verwurzelt sind.
- Autorin Dr. Henrike Hans, wissenschaftliche Mitarbeiterin & Kuratorin