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Gustav Rau im Zollfreilager Embraport 1980er Jahre copyright Arp Museum Bahnhof Rolandseck Foto Peter Schaelchli Zuerich

Die geheime Sammlung des Dr. Rau

Der erste Kontakt, der erste Blick auf den nahezu unbekannten Sammler Gustav Rau (21.1.1922–3.1.2002) war überraschend: Die wenigsten, darunter auch ich, kannten ihn, als er mit seinen Meisterwerken im Frühjahr 2001 in Köln auftauchte. 100 seiner Meisterwerke verwandelten die Kölner Kunsthalle zeitweise in eine wahre altmeisterliche Kunstkammer. Im Foyer vor seinen Impressionisten, Niederländern und mittelalterlichen Schätzen saß ein älterer weißhaariger Herr: ein Hüne, der mit seinen fast 80 Jahren auf den Rollstuhl angewiesen war. Ein Mann mit klugem Blick, umrahmt von Lachfalten, ein bescheidener, leiser Mensch. Das Reden übernahm der Schauspieler Peter Ustinov, der ihm zu Seite stand und das beschrieb, was den bis dato unbekannten Sammler ausmachte: Weitblick, Empathie und sehr viel Idealismus. Idealismus für die Kunst und für den Menschen – denn für beide schlug sein Herz.

Parallel zur Leitung der elterlichen Spezialwerkzeugfabrik für Autozubehör begann Rau 1963 mit knapp 40 Jahren Tropen- und Kindermedizin zu studieren, reiste sogar zu seinem großen Vorbild Albert Schweitzer nach Afrika. Zur gleichen Zeit begann er aber auch seine andere Leidenschaft für die Kunst zu professionalisieren. Als Kind hatte er mit seinen Eltern viele Museen besucht, nun besuchte er kunsthistorische Vorlesungen.

Erste Gelegenheitskäufe wie ein kleines Bildchen einer Köchin des Niederländers Gerrit Dou oder ein Fischer mit Netzen von Frédéric Bazille folgten. Er kaufte, was ihm gefiel. Nach dem Verkauf des elterlichen Betriebs Anfang der 1970er Jahre begann Gustav Rau im großen Stil zu sammeln.

  • Gerard Dou, Die Köchin, 1660-65, Öl auf Leinwand,© Remagen, Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Sammlung Rau für UNICEF, Foto: Peter Schälchli, Zürich

1971 erwarb er alleine 28 hochrangige Meisterwerke. Manchmal war er trickreich, beauftragte Dritte an seiner statt zu bieten, weil er sich erhoffte, dass dann die Preise nicht so nach oben getrieben würden. Vor einer Kunstauktionsreise verfolgte er aufmerksam die Wetterberichte. War Nebel für den Ärmel-Kanal angesagt, fuhr er mit dem Schiff, um vor allen anderen Bietern vor Ort zu sein.

So ersteigerte er in aller Ruhe einen Monet oder Sisley. Als sparsamer Schwabe, der manchmal vom Londoner Flughafen bis zu Sotheby‘s im Stadt-Zentrum zu Fuß lief, freute er sich besonders, wenn er unvermutet ein Schnäppchen machte. So entpuppte sich das frisch gekaufte Bild eines anonymen Künstlers als Meisterwerk des italienischen Barockmalers Guido Reni.

Im Besonderen interessierten ihn die Geschichten hinter den Gemälden so wie bei Auguste RenoirsFrau mit Rose. Der Nationalsozialist Hermann Göring hatte es vom Kunsthändler Paul Rosenberg für seine Privatsammlung beschlagnahmt. Als dieser es nach dem 2. Weltkrieg zurückerhielt, verkaufte er es in den 1970er Jahren – an Gustav Rau.

  • Guido Reni, David, Goliath enthauptend, 1606-1607, Öl auf Leinwand, © Remagen, Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Sammlung Rau für UNICEF, Foto Mick Vincenz
  • Auguste Renoir, Frau mit Rose, um 1876, Öl auf Leinwand, © Remagen, Arp Museum Bahnhof Rolandseck  Sammlung Rau für UNICEF, Foto: Horst Bernhard
  • Alfred Sisley, Kleine Wiese in By, 1880, Öl auf Leinwand, © Remagen, Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Sammlung Rau für UNICEF, Foto Peter Schälchli
  • Claude Monet, Die Felspyramiden von Port-Coton, 1886 Öl auf Leinwand  © Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Sammlung Rau für UNICEF, Foto: Peter Schälchli, Zürich

Nach und nach erwarb der Stuttgarter eine gewaltige Sammlung mit über 2000 Kunstwerken, eine der kostbarsten ihrer Art in Europa. Aber keiner kannte sie. Geheim und gut verwahrt wuchs sie weiter im Zollfreilager in Embraport nahe des Zürcher Flughafens. Denn seit 1979/80 folgte Gustav Rau parallel seiner anderen großen Leidenschaft.

Er ging als Kinderarzt in den Ostkongo, baute ein Kinderkrankenhaus in Ciriri, lebte und arbeitete dort seit 1983 als Kinderarzt. Er war stolz, dass sein Team ambulant 2.000 Erwachsene und Kinder pro Jahr behandelte. In der sehr armen Region wurden jeden Tag Tausende Menschen mit Nahrung und Medikamenten versorgt. Und um die Situation der Menschen in der Region langfristig zu verbessern, sorgte Gustav Rau persönlich dafür, dass Tausende Kinder zur Schule gehen konnten.

Der zurückgezogen lebende und sehr sparsame Sammler hatte selbst keine Kinder.  So entschied er zu Lebzeiten, dass auch seine Kunstsammlung den Ärmsten zu Gute kommen soll. Deshalb vermachte er sie dem Deutschen Komitee für UNICEF.

In seinem Vermächtnis verfügte er auch, dass, die wertvollsten seiner Schätze auch nach seinem Tod 18 Jahre lang für die Öffentlichkeit zugänglich sein sollten. Dann sollten sie verkauft werden, um dauerhaft Menschen zu helfen.  Die Erlöse fließen in die Deutsche UNICEF-Stiftung, wo sie dauerhafte Hilfe ermöglichen.

Seit 2009 zeigt das Arp Museum Bahnhof Rolandseck nahe Bonn in wechselnden Ausstellungen seine Meisterwerke aus 5 Jahrhunderten vom Mittelalter bis zum Beginn der Moderne. Eine der geheimsten Sammlungen ist nun für alle sichtbar und wer genau hinschaut, entdeckt noch immer den Geist des Sammlers dahinter, diesen bescheidenen Stuttgarter mit seinen Lachfältchen und seiner Passion für den Menschen und die Kunst.

 

Gastautorin Dr. Susanne Blöcker ist Kuratorin für die Kunstkammer Rau am Arp Museum Bahnhof Rolandseck. Sie machte persönlich Bekanntschaft mit dem Sammler Gustav Rau.

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