Im Sommer 2023 hat das Paula Modersohn-Becker Museum erstmals zum kreativen Schreibwettbewerb Deine Story zum Bild aufgerufen:
Schüler:innen, im Alter von vierzehn bis neunzehn Jahren, hatten rund zwei Monate lang Zeit, eine selbstverfasste Geschichte zu einem ausgewählten Werk von Paula Modersohn-Becker einzureichen.
Die Idee zu diesem Schreibwettbewerb entstand auf Initiative des Bremer Galeristen Dr. Birk Ohnesorge, der auch die Preisgelder für die drei Erstplatzierten gestiftet hat.
Inspiratorischer Ausgangspunkt der Geschichten sollte ein Bild von Paula Modersohn-Becker sein. Hierfür standen den Jugendlichen zwei Kunstwerke zur Auswahl: „Alte Armenhäuslerin im Garten mit Glaskugel und Mohnblumen“ (1907) und „Tanzende mit Musikanten“ (um 1901).
Insgesamt wurden vierzig Geschichten eingereicht, von denen sich siebzehn auf die Armenhäuslerin und dreiundzwanzig auf die Tanzenden beziehen!
Nun stehen die Gewinner:innen fest und ihre Stories zum Bild gibt es hier im Blog zum Nachlesen!
Der 1. Preis ging an Anniek Färber und Lotta Lange (beide 17 Jahre) für die folgende Geschichte:
Ich muss raus, raus aus der großen Stadt, raus aus dem Trubel der Pariser Gassen. Ich brauche Ruhe, Ruhe an einem der für mich schönsten Orte der Welt, in Worpswede. In meiner Künstlerkolonie bei meinem Verlobten. Ich brauche neue Emotionen, neue Eindrücke, neue Gefühle und Inspiration für meine Werke.
Meine Werke unterscheiden sich sehr ob ich in Paris bin oder hier. In Paris finde ich die Straßen, die unterschiedlichen Menschen, den Trubel. Hier die Ruhe.
Ich steige in den Zug und lasse die Landschaft an mir vorbei ziehen. Stunde um Stunde vergeht und ich sehe, wie aus der großen Stadt langsam eine friedvolle Natur wird und schließlich meine Heimat.
Ich steige aus dem Zug aus und gehe entlang des Pfades in Richtung Zuhause. Wie schön es doch ist, wieder hier zu sein. Ich atme die frische Luft tief ein und wieder aus, schließe meine Augen, lausche den zwitschernden Vögeln und höre ganz leise Geigenmusik. Wie sinnlich es doch klingt und wie wunderschön.
Auf einer Lichtung sehe ich nun einen jungen Mann, der seine Geige spielt, wie ich es vorher noch nie gehört hatte. So himmlisch und bewegend. Um ihn herum tanzt eine Frau, so ausdrucksstark. Sie sieht so friedlich aus und um sie herum sitzen zwei weitere Frauen, die zu der Musik leise singen, was zusammen mit der Geige einen wunderbaren Klang ergibt.
Ich stelle meine Gepäck ab und horche noch eine Weile nach der schönen Musik und schaue mir das Geschehen an, was ich immer noch für einen wundervollen Traum halte. Ich versuche die Emotionen festzuhalten, da ich mir sicher bin, dass dies ein gutes Motiv für mein nächstes Werk wäre. Ich nehme mir vor, direkt heute Abend damit zu beginnen.
Den restlichen Tag verbrachte ich mit Otto, meinem Verlobten.
Ein paar Tage später schauen wir uns gemeinsam mein Werk an, wo bei ich finde, das es mir recht gut gelungen ist.
Ich schließe meine Augen, um noch einmal die Geigen zu hören, um noch einmal die Frauen tanzen zu sehen. Ich stelle mir die Bewegungen vor und merke, dass ich mich auch bewege. Die Klänge der Geige wiederholen sich immer wieder in meinem Kopf, ich versuche meine Augen wieder aufzumachen, doch es geht nicht, sie sind wie zugeklebt.
Meine Bewegungen werden immer schneller und unkontrollierter, mir wird schwindelig und abrupt stehe ich da, wieder in meinem Zimmer. Otto ist weg. Ich schaue mich verdutzt um und bemerke, dass alles anders aussieht. Ich schaue mir die Wände genauer an, dort hängen Bilder von mir. Das Bild, auf das ich eben noch schaute, als ich mir die Geige vorstellte, ist verschwunden.
Ich höre Stimmen, die immer lauter werden und auf mich zu kommen. Plötzlich steht ein älteres Ehepaar vor mir. Sie sind unglaublich seltsam gekleidet. Sie zücken kleine, längliche, dunkle, viereckige Gegenstände aus ihren Taschen und stellen sich vor die Werke. Aber egal was ich tue, es scheint so, als würden sie mich nicht sehen, als würden sie durch mich hindurch blicken.
Was machen diese Menschen in meinem Haus? Ansprechen nützt nichts, sie scheinen mich wohl auch nicht zu hören. Immer noch verwirrt und leicht panisch, laufe ich ins nächste Zimmer, auch dort sieht alles anders aus, von Otto keine Spur.
Im Eingangsbereich steht ein Glashäuschen, wo Kasse drüber steht. Ich traue meinen Augen nicht, wo bin ich hier gelandet? Mein Zuhause ist das auf jeden Fall nicht mehr.
Neben der Kasse ist ein Ständer mit Broschüren und Zeitungen. Aus dem Augenwinkel erkenne ich das Datum: 15. August 2023. 2023? Warum liegen in meinem eigenen Haus, in dem fremde Menschen mit komischen Geräten rumlaufen, die mich nicht wahrnehmen und wo alles verändert und komisch aussieht, Zeitungen aus dem Jahr 2023 aus. 122 Jahre später. Erst jetzt entdecke ich die Broschüren, auf denen mein Name groß gedruckt ist.
Erschrocken gehe ich weiter auf den Hof. Dort sieht alles ganz anders aus als sonst. Dort stehen komische farbige Dinger, ich überlegte kurz, sind das etwa Autos? Ich lasse die letzten Minuten in meinem Kopf Revue passieren und plötzlich stoppte mir der Atem. Bin ich etwa in der Zeit gereist? Ist es möglich, dass ich 122 Jahren später am selben Ort stehe? Verwirrt laufe ich weiter. Durch Straßen und Gassen die ich zum Teil noch erkenne.
Ich biege ab und stehe in ein einer großen Straße, die gut besucht ist. Die Menschen laufen gestresst an einander vorbei, nehmen sich gegenseitig kaum war. Ich sehe eine Frau mit eine Aktenkoffer, Sie scheint einen hohen Rang zu haben und das als Frau.
Außerdem einen Mann, der einen Kinderwagen vor sich her schiebt und Erwachsene mit großen Einkaufstaschen.
Und schon wieder sehe ich diese komischen kleinen, viereckigen Dinger, auf die Jugendliche schauen. Ich frage mich was aus meinem Künstlerdorf Worpswede geworden ist.
Ich laufe weiter und bemerke, dass an vielen Schaufenstern und Straßenlaternen Plakate hängen auf denen ganz deutlich mein Gesicht zu erkennen ist. Es schaut mich mit großen Augen an. Staunend stehe ich davor, bei all diesen Plakaten geht es um Museen von mir.
Jetzt wird es mir klar, mein Haus ist ein Museum geworden. Verblüfft schaue ich weiter, auf einem der Plakate ist das Bild zu sehen, durch das ich hier gelandet bin. Es scheint in einem Museum in Bremen zu hängen, in der Böttcherstraße.
Das kann doch alles nicht wahr sein, denke ich mir. Die Menschen haben tatsächlich Museen für mich eröffnet und ich scheine ein wichtiger Teil für die Geschichte von Worpswede zu sein. Einem anderen Plakat zufolge, schein ich wohl auch für die moderne Kunstwelt der Frauen ein großes Vorbild zu sein. Ich spüre, wie mich eine Welle des Stolzes überrumpelt. Ich habe es geschafft.
Ich mache mich auf den Weg zurück zu meinem Wohnsitz, dem, wie ich gerade erfahren habe, heutigem Museum Am Modersohn Haus.
Vor dem Gebäude stehen ein paar Leute, die unter einem kleinen Glashaus auf etwas zu warten scheinen. Ich höre das eine Mädchen sagen „ Gleich kommt der Bus nach Bremen“. Nach Bremen? Da muss ich unbedingt hin. Wenn ich mit dem Bild, das in einem Museum in Bremen hängt, hier her gekommen bin, kann ich vielleicht mit dem Bild auch wieder zurück gelangen.
Ein paar Minuten später kam der Bus. Ich staune nicht schlecht, als ich ihn sehe. So modern und groß. Circa 50 Minuten später komme ich in Bremen an. Ich kann vor staunen den Mund bald gar nicht mehr schließen. So viele Eindrücke. Ich mache mich auf den Weg in die Böttcherstraße und ins Museum. Da hängt es. So schön wie ich es am Morgen sah.
Ich schließe die Augen und stelle mir die Geige ein erneutes Mal vor und natürlich die Frauen, die um mich herum tanzten. Ich spüre wie sich mein Körper wieder anfängt zu den Tönen der Geige zu bewegen und mir langsam schwindelig wird.
Paula Modersohn-Becker, Alte Armenhäuslerin mit Glaskugel und Mohnblumen, 1907, © Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen |
Den 2. Preis erhält Magnus Hahn (14 Jahre) für:
In einem abgelegenem Dorf umgeben von saftigen grünen Feldern und sanften Hügeln, thronte ein alter Bauernhof.
Die Zeit schien ihre Spuren hinterlassen zu haben, doch die Wände strahlten eine stille Eleganz aus.
Im Garten des Hofes, umgeben von einem Meer aus leuchtend roten Mohnblumen, saß eine alte Frau auf einer verwitterten Bank. Ihre Hände ruhten auf ihrem Schoß, in Ihren Augen lag ein sanfter Glanz, der von Jahrzehnten voller Weisheit und Erinnerungen zeugte.
Die Frau war einst eine junge Dame, die in der ländlichen Idylle des Dorfes verheiratet worden war.
Ihr Name war Anna. Sie hatte die Liebe ihres Lebens in einer der Bars in ihrem Dorf gefunden ein strahlender abenteuerlustiger Mann namens Lukas. Gemeinsam träumten sie von einer Zukunft, in der sie Hand in Hand über die saftigen Felder spazieren und den Sonnenuntergang beobachten würden.
Die Jahre vergingen, und die Liebe zwischen Anna und Lukas schien unerschütterlich.
Doch das Schicksal führte dunkle Wolken heran, als die Pest das Dorf heimsuchte.
Krankheit und Tod verbreiteten sich rasch, und die Menschen lebten in Angst und Verzweiflung. Die einst lebhaften Straßen wurden zu stummen Zeugen des Leids, während die Pest ihre schreckliche Ernte forderte.
Anna und Lukas kämpften gemeinsam gegen die Krankheit, doch die Pest erwies sich als unbarmherzig. Lukas wurde von ihr fortgerissen, und Anna blieb allein zurück, um mit ihrem gebrochenen Herzen und den schmerzhaften Erinnerungen zu leben.
Jahre vergingen, und das Dorf begann sich langsam von den Schrecken der Pest zu erholen. Doch Sie konnte die Wunden in ihrer Seele nicht so leicht heilen. Sie zog sich auf den Bauernhof zurück, den sie einst mit Lukas geteilt hatte. In ihrem Garten pflanzte sie noch viele mehr Mohnblumen, die ihre Trauer symbolisieren sollten – leuchtend rot, wie das Blut, das die Pest genommen hatte.
Eines Tages fand sie eine alte Glaskugel in einer verstaubten Truhe auf dem Dachboden des Hauses. Die Kugel war trüb und abgenutzt, doch sie faszinierte Anna. Sie stellte sie auf einen besonderen Platz im Garten, direkt neben den Mohnblumen. Die Kugel fing das Sonnenlicht ein und warf funkelnde Reflexionen auf die Blütenblätter. Für Anna schien es, als ob Lukas' Geist in der Kugel lebendig geworden wäre.
Die Jahre zogen ins Land, und Anna wurde zu einer respektierten älteren Dame im Dorf.
Die Menschen schätzten ihre Weisheit und Freundlichkeit. Doch tief in ihrem Herzen trug sie immer noch den Schmerz der Vergangenheit.
Eines Tages kam ein junges Mädchen namens Lena ins Dorf. Sie war die Tochter eines Arztes, der in die Region gezogen war, um den Menschen zu helfen. Lena war von der Geschichte des Dorfes fasziniert und begann, sich für die alten Geschichten zu interessieren.
Eines Tages, als sie durch den Garten von Anna spazierte, fiel ihr Blick auf die Glaskugel neben den Mohnblumen. Sie fragte Anna nach der Geschichte dahinter, und Anna begann zu erzählen. Sie sprach von Lukas, von ihrer Liebe und von den schrecklichen Tagen der Pest.
Lena hörte gebannt zu und spürte die Tiefe der Emotionen in Annas Worten. Sie erkannte, wie stark sie gewesen sein musste, um all das Leid zu ertragen. Und während sie zuhörte, bemerkte sie, dass die Glaskugel, wenn das Licht auf sie fiel, tatsächlich wie ein kleines Stück Magie wirkte eine Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart.
Die Zeit verflog, und Lena besuchte Anna oft im Garten. Die beiden Frauen teilten Geschichten und lachten zusammen. Lena wurde zu einer Enkelin im Herzen von Anna, und die Glaskugel wurde zu einem Symbol der Verbundenheit zwischen ihnen.
Anna fühlte, dass durch Lenas Zuhören und ihre eigene Erzählung ein Teil ihrer Last geteilt wurde. Die Erinnerungen an Lukas wurden nicht mehr von Schmerz durchdrungen, sondern von Liebe und Wärme.
In dem abgelegenen Dorf, umgeben von saftigen grünen Feldern und sanften Hügeln, thronte der alte Bauernhof.
Und im Garten, umgeben von leuchtend roten Mohnblumen und einer Glaskugel, fand eine alte Armenhäuslerin Trost und Heilung durch die Freundschaft einer jungen Seele. Die Vergangenheit und die Gegenwart verschmolzen in einem harmonischen Lied des Lebens, das von Generation zu Generation weitergetragen wurde.
Der 3. Preis geht an Martha Tiarks (17 Jahre) für:
Jedes Jahr kommt sie wieder. Für einen Tag. Sie kommt vorbei und setzt sich in den Garten zu den Mohnblumen. Jedes Mal schaut sie den ganzen Tag auf die Mohnblumen.
Auf ihrem Gesicht hat sie immer einen ganz bestimmten Ausdruck, wenn sie in den Garten, in die Natur und Pflanzen und vor allem auf die Mohnblumen schaut.
Es ist ein sehr trauriger und zu gleich beneidender Gesichtsausdruck. Sie beneidet die Natur dafür, jeden Frühling neu aufblühen zu können und jedes Jahr wieder so jung, wundervoll und schön sein zu können.
Und sie ist traurig, weil sie nie wieder so jung und schön sein wird.
Doch sie weiß nicht, dass ein alter Baum, der weit entfernt steht, genauso wundervoll und schön ist. Und noch viel mehr, dieser Baum strahlt eine Ruhe und Gelassenheit aus, dass sich Menschen, jeden alters, gerne dort niederlassen und in den Himmel schauen.
Doch dies alles weiß die Frau nicht. Sie schaut nur auf das, was sie nicht hat, als das zu schätzen, was sie hat.
Die Gewinner:innen unseres Schreibwettbewerbs 2023, Foto: © Museen Böättcherstraße
Aufgrund der positiven Resonanz wird das Projekt Deine Story zum Bild fortgeführt, sodass es auch 2024 wieder einen kreativen Schreibwettbewerb mit Geschichten zu ausgewählten Kunstwerken von Paula Modersohn-Becker geben wird.
Wir freuen uns auf viele weitere kreative Geschichten!