Wie viele bildende Künstler der Jahrhundertwende war Bernhard Hoetger (1874–1949) fasziniert von der rasanten Entwicklung des modernen Tanzes und daran interessiert, tänzerische Bewegungsabläufe und Posen mit bildhauerischen Mitteln festzuhalten.
Eine frühe, in ihrer Bewegtheit sehr beeindruckende Bronzefigur Hoetgers zeigt die Tänzerin Loïe Fuller, die mit ihrer Verbindung von wirbelndem Tanz, Musik und Lichteffekten die Sensation auf den Pariser Bühnen war. »Je sculpte de la lumière« (dt. etwa: »Ich forme Skulpturen aus Licht«) – so beschrieb Loïe Fuller ihre berühmten Serpentinentänze und unterstrich damit die Nähe des Tanzes zur Bildhauerei. Bernhard Hoetger konzentrierte sich in seiner Plastik Loïe Fuller ganz auf die Dynamik ihres Kleides, das wie ein stürmisches Meer um die Tänzerin tobt. Für diese Figur sowie für Der Sturm (La Tempête) verwendete Hoetger Formen des Jugendstils und der impressionistischen Bildhauerei Rodins.
Am Beispiel von Olga Breling ist nachzuvollziehen, wie sich Hoetger nicht nur von Tänzerinnen inspirieren ließ, sondern ebenso versuchte, die Kunst einer Tänzerin mitzugestalten. Zunächst war die Beziehung zwischen Bernhard Hoetger und Olga Breling eine zwischen Künstler und Modell. Nach der Ausbildung Olga Brelings zur Tänzerin wuchs eine Freundschaft zwischen zwei Künstlern, die in einem regen Austausch miteinander standen. Olga Breling entwickelte nach dem Ersten Weltkrieg einen expressionistischen Tanzstil, den Hoetger unter anderem mit Bühnendekorationen, Plakaten und Karikaturen begleitete.
Eine gänzlich andere künstlerische Form wählte Hoetger über zwei Jahrzehnte später für eine Darstellung Sent M’Ahesas, eine aus dem Baltikum stammende Tänzerin, die in aufwendigen Kostümen altägyptische Tänze auf die Bühne brachte. Zeitgenossen beschrieben ihre Tänze als »Szenenpantomime«, bei welcher der Körper zu einem »strömende Bilde« werde. An Sent M’Ahesa mag Bernhard Hoetger die Schöpfung eines völlig neuen Stils durch den Rückgriff auf Archaisches fasziniert haben. Für die Plastiken Sent M’Ahesa und Sent M’Ahesa in Ganzfigur entwickelte er eine ägyptisierende Formensprache und entschloss sich – wie Sent M’Ahesa in ihren Tänzen – den Ausdruck, den expressiven Moment zu betonen. Beide Werke gelten als Meilensteine expressionistischer Bildhauerei.
Bernhard Hoetger und das Paula Modersohn-Becker Museum
Bernhard Hoetger hinterließ als Architekt, Bildhauer, Grafiker, Kunsthandwerker und Maler ein umfangreiches Werk, von dem sich ein Großteil im Paula Modersohn-Becker Museum befindet. Der Bestand reicht von frühen Arbeiten, die noch stark im Zeichen des Impressionismus stehen, über archaische und monumentale Werke, in denen Hoetgers Rückgriffe auf mittelalterliche, asiatische oder ägyptische Vorbilder sichtbar werden, über expressionistische Werke bis hin zu Arbeiten aus den 1930er und 1940er Jahren.
Im Auftrag des Kaffee HAG-Kaufmanns Ludwig Roselius schuf Bernhard Hoetger mit dem Paula Modersohn-Becker Museum außerdem ein außerordentliches Beispiel expressionistischer Architektur und das erste Museum für eine Malerin weltweit.
Die Ausstellung Bewegte Bronze – Tanzplastiken von Bernhard Hoetger führte dem Besucher die Stilvielfalt im Werk des Künstlers vor Augen und setzte den Auftakt für eine permanente Präsentation von Hoetger-Werken im Paula Modersohn-Becker Museum.